Der Bürgermeister ging mit zwei Negern durch das Dorf

Blick auf das etwas ältere Altenplos

Diese und ähnliche Stilblüten stehen im Heimatbuch aus dem Jahr 1993

Zuletzt gab es nur noch wenige gedruckte Exemplare des Heimatbuches aus dem Jahr 1993. In mühevoller Kleinarbeit machte sich deshalb ein kleines Team um Bürgermeisterin Simone Kirschner mehr als zwei Jahre lang an die Arbeit und begann die Daten zu digitalisieren und teilweise zu aktualisieren. Im Juli 2023 gab der Gemeinderat dann grünes Licht für den Nachdruck von 100 Exemplaren für rund 6.000 Euro. Auf 496 Seiten zeigt das Heimatbuch in sechs Kapiteln die Frühgeschichte, die Entwicklung der vier Ortsteile und am Ende die Geschichte der Vereine auf. Auch zahlreiche „Stilblüten“ sind im Heimatbuch zu finden.
Teilweise schwer verdaulich sind die Originalberichte von Zeitzeugen unmittelbar nach Ende des zweiten Weltkriegs. „Rassismus pur“, würde man heute sagen. Die schwarzen Soldaten der Amerikaner waren für die Einheimischen offensichtlich beeindruckend. Mehrfach ist im Heimatbuch von „Negern“ die Rede. An anderer Stelle heißt es „Julian, unser Pole …“ und meint damit die Situation, dass Zwangsarbeiter aus dem Osten im ganzen Dorf verteilt waren. Auch von „Polenmädchen“ ist die Rede. Geflüchtete Menschen werden im Text teilweise gering geschätzt. An einer Stelle heißt es, dass „unser Dorf sogar mit 200 Flüchtlingen aus Ungarn vollgestopft war“. Diese Passagen müssen die Leserinnen und Leser entsprechend einordnen. Und sie werden sich auch wundern, dass über die Herrschaft der Nazis in der Zeit zwischen 1933 und 1945 nur sehr wenig im Heimatbuch zu lesen ist.

Die Nazizeit schnell vergessen und nicht darüber reden

Diesen Eindruck hat der Leser rückblickend. Die Verfasser des Heimatbuches taten sich schwer mit der unrühmlichen Vergangenheit. Nur an drei Stellen findet man das Wort „Nazi“. Besonders betroffen waren die Mitglieder der damaligen SPD. So wundert es nicht, dass nur die Autoren dieser Partei die Nazizeit thematisieren. Mehrere Bürger aus Altenplos und Heinersreuth wurden nach der Machtübernahme Hitlers verhaftet und verblieben monatelang im Konzentrationslager Dachau. Dieser Schreck steckte den Einwohnern in den Gliedern. Denn danach gab es kaum noch Widerstand. Nur zwei junge Männer aus Altenplos wagten es, nicht zur Hitlerjugend zu gehen. Abschreckend wirkte sicherlich auch, dass die Angehörigen, die Ehefrauen und Kinder der Inhaftierten keinerlei Unterstützung erhielten. „Andererseits gab es unter der Bevölkerung keine ausgesprochenen NS-Fanatiker, die Andersdenkende ‚ans Messer‘ geliefert hätten“, schreibt Hermann Beck auf Seite 379. „Bis zum Kriegsende gab es keine Denunzierung, aber auch keine persönlichen Schikanen durch die örtliche Parteiführung.“ Zumindestens nicht in Altenplos und soweit bekannt, ist den Anmerkungen Becks noch anzufügen.

Mindestens 130 Zwangsarbeiter aus dem Osten sind bekannt

In einer Datenbank des International Tracing Service (ITS) in Bad Arolsen findet man Hinweise darüber. Ob alle im Gemeindegebiet waren, ist nicht sicher nachzuweisen. Meistens waren es junge Männer aus Polen, der Ukraine und Weißrussland, die auf den Höfen und in den Betrieben die Arbeit der zum Kriegsdienst eingezogenen Deutschen machen mussten. Teilweise wurden sie gut in die Familien aufgenommen, oft aber nur ausgenutzt und schlecht behandelt. So schreibt eine Zeitzeugin im Heimatbuch auf Seite 88 über die verspätete Rache der Knechte: „Nach dem verlorenen Krieg wurde es allerdings schwierig. Nun wurden alle Ausländer frei und fühlten sich als die Herren. Im Ferienheim Moosing rotteten sie sich zusammen und zogen nachts zu Raubzügen aus. Da war schon große Angst, zumal bei den Bauern, bei denen sie gearbeitet hatten und nicht gut behandelt worden waren. Die wurden regelrecht ausgeplündert.“

Fast alle Bürgermeister wurden nach Kriegsende ausgewechselt

Johann Hermannsdörfer aus Heinersreuth, Georg Müller aus Altenplos, Fritz Hacker aus Weikenreuth, Wilhelm Potzel aus Unterkonnersreuth wurden im Jahr 1945 durch andere Persönlichkeiten ersetzt. In Heinersreuth und Altenplos bekamen zwei Männer die Verantwortung als Bürgermeister, die zuvor von den Nazis verhaftet und gequält wurden. Offensichtlich wollten die Amerikaner ein Zeichen setzen und eine neue Zeit einläuten. Über die Verstrickung einzelner Personen in den SS-Machtapparat ist nichts bekannt. Es gibt zwar in Nationalarchiven Listen von tausenden SS-Angehörigen, aber keine Verbindung zu deren Wohnorten. Wer persönlich seine Vergangenheit bewältigen will, kann Auskunft im Bundesarchiv einholen. Der Zugriff auf diese personen­bezogenen Unterlagen ist ausschließlich über die Personalien der betroffenen Personen möglich. Für eine Recherche werden vollständige Angaben zum Familien­namen, Vornamen und das Geburts­datum benötigt; darüber hinaus können Informationen zum Beruf oder zu Einsatz­orten hilfreich sein.

Die Schule in Martinsreuth

Ein Beispiel für den verklärten Rückblick im Heimatbuch dienen die Lobeshymnen von Verfasser Eugen Maisel auf den damaligen Schulleiter Erwin Schmidt, der bis 1968 die mehrklassige Schule in Martinsreuth leitete (Seite 262). Maisel war ja nie selbst im Unterricht und kannte deshalb nur die guten Seiten von Schmidt. Viele ehemalige Schüler werden sich aber auch an den Hang des Lehrers zu kollektivem „Watschen geben“ erinnern oder an den „heiligen Geist“, ein kurzes Stück Bambusrohr, welches zur Bestrafung von renitenten Buben in der Schublade aufbewahrt war. Das Hauptproblem der Zwergschule lag aber in der mangelnden Förderung von begabten Schülern. Denn hätte der Schulleiter noch mehr Kinder ermuntert, auf weiterführende Schulen zu gehen, wäre der Fortbestand der Schule wahrscheinlich schon früher in Frage gestellt worden.

Dennoch sollte man das Heimatbuch lesen

Die Autoren haben ihr bestes versucht, um 496 Seiten Heimatgeschichte in einem Buch zusammenzufassen. Viele historische Bauwerke sind abgebildet, historische Siedlungen dargestellt. Unwiederbringliche Fotos von Schulklassen vieler Generationen finden sich darin, Bilder von Mitgliedern der zahlreichen Vereine und Namen, Namen, Namen. So sind alle Pfarrer und Pfarrerinnen aufgelistet, Kirchenvorstände, Lehrerinnen und Lehrer, Postbeamte und natürlich sämtliche Bürgermeister. Fünfzig Seiten alleine sind für Vereine vorbehalten, zu denen auch die politischen Parteien gehören. Eine kritische Distanz zum Inhalt ist notwendig. Vieles entspricht dem Blickwinkel der damaligen Zeit und sollte zum Nachdenken anregen. Noch lebende Zeitzeugen können gerne an den Rotmainblogger schreiben und eigene Erinnerungen mitteilen.

https://www.bundesarchiv.de

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